Strasse, Stopschild
(Collage: Samy - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0)

Oktober 2020: Widersprüche gegen eine Exportgenehmigung.

Das Kernkraftwerk Leibstadt/ Schweiz bezieht seine Brennelemente aus der Brennelementefabrik der ASN/Framatome in Lingen im Emsland (Deutschland)

Mehrere Privatpersonen, Anti-Atom Initiativen und Verbände haben gegen eine Exportgenehmigung für Brennelemente, die Januar/Februar 2021 geliefert werden sollten, Widerspruch eingelegt. Mit dabei: IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges), BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) Landesverband Baden-Württemberg, BUND Regionalverband Hochrhein, BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein.

Gründe für die Widersprüche:

Die Bundesrepublik Deutschland hat 2011 mit Blick auf die Atomkatastrophe in Fukushima, aber auch auf die vorausgegangene Katastrophe in Tschernobyl und die Terroranschläge vom 11.September 2001 in den USA den deutschen Atomausstieg beschlossen, weil ein gravierender Störfall mit massiver Freisetzung von Radioaktivität und damit einhergehender Unbewohnbarkeit weiter Landstriche und einer hohen Zahl von Strahlenschädigungen an Bürgern nicht ausgeschlossen werden kann.

Aus der Bundesdrucksache 17/6246 „Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes“ vom 23.06.2011: „Die Bundesregierung hat unter Einbeziehung der Ergebnisse der Reaktor- Sicherheitskommission und der Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ sowie des absoluten Vorrangs der nuklearen Sicherheit beschlossen, die Nutzung der Kernenergie zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beenden.

Das Gesetz wurde am 31.07.2011 beschlossen.

Die schweizerischen Atomkraftwerke, darunter Leibstadt, sind weder von der Bauart noch vom Alter oder der Qualifikation des Personals so sehr von den deutschen Kernkraftwerken zu unterscheiden, dass hier nicht die gleichen Gefahren bestehen.

Die Schweizerischen Überwachungsbehörden berechnen die Unfallwahrscheinlichkeit mit falschen Grundlagen. Die Überwachungsbehörde ENSI sagt, ein Flugzeugabsturz mit einem Treffer auf das Kraftwerk könne gravierende Mengen radioaktiver Stoffe freisetzen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Flugzeug zufällig beim Absturz genau das Kraftwerk trifft, sei so unwahrscheinlich, dass das Risiko vernachlässigbar ist. (Aus der periodischen Sicherheitsüberprüfung 2019). Aber das ENSI vernachlässigt dabei die Gefahr eines absichtlichen Absturzes. Was, wenn ein Attentäter wie die des 11.9.2001 ein entführtes Flugzeug absichtlich in das Kraftwerk fliegt?

Während der Bauzeit haben sich die Kosten für das Kernkraftwerk Leibstadt mehr als verdoppelt, seitdem ist die Wirtschaftlichkeitsberechnung in Schieflage. Im Kernkraftwerk Leibstadt versucht man daher mit allen Mitteln, Gewinne zu maximieren, unter anderem durch vermeintliche Einsparpotenziale bei den Personalkosten. Dadurch steigt allerdings das Störfallrisiko. Dazu die Badische Zeitung vom 29.08.2019: „Hat das Kernkraftwerk Leibstadt zu viel Personal abgebaut und dadurch den sicheren Betrieb der Atomanlage gefährdet? Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) sieht laut Schweizer Medienberichten einen Zusammenhang zwischen dem Personalabbau und der Häufung von Zwischenfällen im Kernkraftwerk in den vergangenen Monaten. Deshalb will die Atomaufsichtsbehörde den Stellenabbau prüfen.“ [ https://www.badische-zeitung.de/haeuften-sich-die-zwischenfaelle-im-akw-leibstadt-wegen-personalabbaus–176792456.html ]

Das entspricht einem allgemeinen Trend bei Atomanlagen. Die französische Aufsichtsbehörde ANF hat die gemeldeten Ereignisse für die französischen Atomanlagen 2019 untersucht und stellt fest, dass 40% aller Ereignisse durch menschliches Fehlverhalten ausgelöst wurden.

Das Genfer Biosphäreninstitut hat die Auswirkungen eines Unfalls für jeden Tag des Jahres 2017 simuliert. Bei einem Unfall mit vergleichbarer Freisetzung radioaktiven Materials wie in Tschernobyl oder Fukushima müssten bei ungünstiger Wetterlage bis zu 500.000 Menschen evakuiert werden. Trotzdem müsste man mit bis zu 50.000 Krebsfällen rechnen. Je nach Wetterlage wären 94 Prozent der geschädigten Personen von Leibstadt aus gesehen im Ausland. (Hier PDF Download der Studie)

 Grafik: Simulation am 27.02.2017

Grafik: Simulation am 27.02.2017

Dezember 2020: Das Gericht wird aktiv.

Das Brennelementewerk schaltet das Gericht ein. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hatte das Werk von den Widersprüchen in Kenntnis gesetzt und ging von der “aufschiebenden Wirkung” der Widersprüche aus, denn Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§80 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung)

‘Aufschiebende Wirkung’ bedeutet, der Verwaltungsakt (hier die Exportgenehmigung) darf nicht vollzogen werden.

Das Brennelementewerk will in einem Eilverfahren feststellen lassen, dass die Widersprüche ‘offensichtlich unbegründet’ sind. Die Formulierung ‘offensichtlich unbegründet’ ist ein juristischer Ausdruck, der dazu führt, dass die Widersprüche keine aufschiebende Wirkung mehr hätten.

Das Gericht läd die Widerspruchsführer als ‘Beigeladene’ zu dem Verfahren, bedeutet, dass wir Stellung zum Fall beziehen dürfen. Uns wurde eine Frist bis 15.01.2021 eingeräumt. Gleichzeitig gibt der ‘Managing Director’ des Brennelementewerks eine eidesstattliche Versicherung ab, die den Anschein erwecken soll, dass die Brennelemente frühestens Mitte Januar geliefert werden sollen.

12. Januar 2021: Strafanzeige gegen ANF/Framatome.

Was war geschehen? ANF/Framatome hat am 14. und 28. Dezember Brennelemente nach Leibstadt exportiert – obwohl nach Verwaltungsgerichtsordnung die Genehmigung ungültig war. Der BUND Landesverband Baden-Württemberg hat daher Strafanzeige gestellt.

Die Aufregung ist groß. “Im Bundesumweltministerium, das in dieser Frage die Aufsichsbehörde des BAFA ist, herrscht Empörung über das Vorgehen des Unternehmens. „Das ist nicht akzeptabel“, sagte Staatssekretär Jochen Flasbarth…” so die Tageszeitung TAZ. Auch das BAFA wird den Vorgang daher zur Prüfung an die Staatsanwaltschaft abgeben.

Auch das Gericht zeigt sich irritiert. In einem Schreiben an die Prozessbeteiligten wirft es die Frage auf, wozu überhaupt ein Eilverfahren in Gang gesetzt wurde, wenn sich der Kläger eh nicht dafür interessiert, was das Gericht entscheidet.

13. Januar 2021: BUND fordert BAFA zum Handeln auf.

Mit einem Schreiben sowohl an das BAFA als auch an dessen Aufsichtsbehörde, das Bundesumweltministerium, fordert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland / Landesverband Baden-Württemberg die Behörden auf, erstens weitere Transporte zu verhindern und zweitens, die Zuverlässigkeit des Brennelementewerks nach dem Atomgesetz zu prüfen.Der Vorgang könnte weitreichende Folgen für das Werk haben. Wird ihm die ‘Zuverlässigkeit nach Atomgesetz’ aberkannt, dürfte es nicht mehr liefern. Nicht nur nicht nach Leibstadt sondern nirgendwo hin.

15. Januar 2021: BUND gibt Stellungnahme ab.

Fristgerecht am 15. Januar hat der Bund Landesverband Baden-Württemberg seine inhaltliche und juristische Stellungnahme zur Gefährdung des Lebens und der Lebensgrundlagen bei Gericht vorgelegt. In seiner Stellungnahme geht der BUND detailliert auf die Unfallwahrscheinlichkeit und die Unfallfolgen ein.

Gericht entscheidet im Eilverfahren für ANF / Framatome

 In einem Eilverfahren entschied das Verwaltungsgericht Frankfurt: ANF darf Brennelemente an störanfällige alte Risikokraftwerke liefern, Umweltverbände dürfen keine Widersprüche gegen Brennelementexporte einlegen. In unseren Augen ein klarer Verstoss gegen das Umweltrechtsbehelfsgesetz. Da zuvor der Verwaltungsgerichtshof Kassel gegen die Widerspruchsbefugnis von Personen entschieden hat, haben wir hier die Situation, dass gerade in diesem so sensiblen Bereich des gesellschaftlichen Lebens niemand – keine Person und kein Verband – gegen eine Behördenentscheidung vorgehen kann, egal wie fehlerhaft sie auch ist.

17.02.2021: Der BUND wird in den nächsten Tagen entscheiden, wie er weiter gegen die Brennelementexporte vorgeht.

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